Sonntag, 21. August 2011

Leskovac


Aus Gazela hatten wir gehört, dass dort die BewohnerInnen aus Leskovac für reich gehalten werden, weil sie in ihren Vierteln aus Stein gebaute Häuser haben. Als wir dann in die engen Gassen fahren, treffen wir auf ein Gewirr von überwiegend halbfertigen Häusern, die aus Stein und Beton gebaut sind. Es fehlt offensichtlich den Meisten an Geld, die Häuser wirklich fertig zu bauen: Viele sind unverputzt, die elektrische Versorgung ist notdürftig, über den Betonfußboden sind einfach ein paar Teppiche gelegt. Selbst gebrochene Fensterscheiben sind oft nur mit einem aufgeklebten Stück Plastik oder Papier repariert.
Wir besuchen dort die Familien von FreundInnen, die wir aus Hamburg kennen. Den Weg dahin zeigen uns Marine und Helene, die ebenfalls unterwegs sind, Romafamilien zu besuchen. Wir werden freundlich empfangen und sitzen gemeinsam in dem Raum, der als Küche, Wohn- und Esszimmer dient. Die Übersetzung übernimmt Dragan, der uns später auch seine eigene Geschichte erzählt. Als wir der Mutter die Videobotschaft ihrer in Hamburg von Abschiebung bedrohten Familie vorspielen wird es ganz still und die Kinder und Enkel versammeln sich hinter der Frau. Sie ist für unseren Besuch zu Hause geblieben. Normalerweise arbeiten sie und ihrer Schwiegertochter auf den Feldern in der Ernte. Für einen etwa zehnstündigen Arbeitstag bekommen sie 1.000 Dinar – 10 Euro. Das reicht kaum fürs Überleben und so hört man denn auch überall in der Siedlung Grüße auf deutsch, weil in den meisten Familien Menschen sind, die dort versuchen, etwas mehr Geld zu verdienen. Später beim Wegfahren treffen wir eine Familie, die vor drei Tagen „freiwillig“ aus Deutschland ausreisen musste.
Einer der Enkel spielt Klarinette, und so holt Max seine Gitarre aus dem Bus und der Nachbarsjunge seine Trommel. Stefan hat nur 14 Monate in einem Asylheim – wie er sagt – bei Bonn verbracht und sehr gut Deutsch gelernt. Er ist dort in die Klasse 3a einer Grundschule gegangen und bekommt leuchtende Augen, als wir fragen, ob wir versuchen sollen, Kontakt zu seiner Klasse aufzunehmen. Auch hier in Leskovac geht er zur Schule, aber in Bonn sei es viel besser gewesen. Für ihre Musik brauchen die beiden Jungs, Max und Romain, dann allerdings keine Übersetzung. Sie spielen zu viert zusammen, schreiben Noten auf und singen Lieder aus einem serbischen Deutsch-Heft, was der junge Klarinettenkünstler besitzt, denn er will gerne in Deutschland Klarinette studieren. Immer wieder kommen Freunde dazu und wir hören der internationalen vierköpfigen Band zu oder singen gemeinsam wie bei „Smoke on the water“. Für Momente verschwindet die Armut, das Elend, unsere Scham und unsere Wut über die deutschen Entscheider, die Menschen hierherzuschicken, hinter den Klängen der Klarinette und dem Gesang.
Nachdem Dragan Marine und Helen, unsere beiden franzöischen Freundinnen, zum Busbahnhof gebracht hat – sie fahren nach Skopje, um dort weitere Familien zu treffen -, erzählt er uns seine eigene Geschichte. Er ist in Deutschland aufgewachsen, und dort zur Schule gegangen, bis er 11 war. Dann ist er mit seiner Familie nach Serbien abgeschoben worden, in ein Land, dessen Sprache er kaum verstand: Mit seinen Freunden und in der Schule hatte er deutsch gesprochen, mit der Familie romanesc. In der Schule hier in Leskovac verstand er nichts und wurde zudem als Romajunge diskriminiert, so hörte auf, zur Schule zu gehen und begann zu arbeiten. Immer wieder aber fuhr er nach Deutschland, um dort seine Freunde wieder zu treffen. Inzwischen hat er eine aus Slowenien stammende Braut, die in Norddeutschland lebt und sich um ihre deutsche Einbürgerung bemüht. Sie ist schwanger und sie wollen so bald wie möglich heiraten. Im Moment aber kann Dragan, trotz der Risikoschwangerschaft seiner Freundin nicht bei ihr sein. Bei seiner letzten Einreise nach Deutschland fiel den deutschen Grenzbeamten an der österreichisch-deutschen Grenze auf, dass er die Abschiebekosten von vor acht Jahren noch bezahlen musste. Solange ist ihm die Einreise verwehrt. Er war damals ein kleiner Junge, als in der Nacht die deutschen Polizisten ihn und seine Familie abschoben. 2011, fast zehn Jahre später, soll der junge Mann dafür bezahlen.
Am Abend wird Dragan mit 250 anderen Leuten aus Leskovac nach Montenegro zur Weinernte fahren. Dort verdient man mit 40 bis 50 € am Tag nic

ht schlecht – muss allerdings auch sehr hart dafür arbeiten. Er wird dort vier Monate bleiben, danach genügend Geld angesammelt haben, die fast 1.000 Euro zu zahlen. Danach wird hoffentlich seine Sperre für die Einreise nach Deutschland rasch aufgehoben und er kann zu seiner Verlobten und seinem Baby.

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