Samstag, 20. August 2011

18.8. Subotica Teil II- Eine Mutter gefangen in Serbien.

Sonja (38) spricht fließend deutsch. Wir treffen sie auf dem Markt. Unsere FreundInnen holen sie als Übersetzerin. Schon seit einem Jahr, erzählt sie uns, lebt sie bei ihrer Tante und deren Familie in Subotica. Sie reiste „freiwillig“ aus, verließ Deutschland – und damit auch ihre drei Söhne, die „zum Glück“, so sagt sie, beim Vater in Deutschland bleiben konnten. Er ist wieder verheiratet und hat durch seine neue Ehe einen legalen Aufenthalt in Deutschland. An der Grenze zwischen der EU und Serbien gaben die ungarischen Grenzsoldaten ihr einen Stempel in den Pass: „Drei Jahre Einreiseverbot für die gesamte EU“. Nachdem ihr Asylantrag abgelehnt worden war und ihre Duldung auslief, hatte sie weiterhin ohne Papiere in Deutschland gelebt. Sie hat nichts in Serbien, keinen Job, ihre Kinder sind in Deutschland und ihr Verlobter auch. Aber sie muss drei Jahre warten.


Sie will ihren Freund heiraten und mit ihm in Deutschland leben. Doch dafür muss Sonja eine Deutschprüfung bei der Deutschen Botschaft in Belgrad ablegen. Das ist mittlerweile obligatorisch für alle AusländerInnen. Um zu seinem in Deutschland ansässigen Ehepartner zu ziehen (Ehegattennachzug), muss jede/r Nicht-Deutsche/r eine Deutsch-Prüfung noch im Ausland ablegen - schriftlich und mündlich. Sonja ist nie wirklich zur Schule gegangen. Zwar hat sie sich ein wenig das kyrillische Alphabet angeeignet und zudem sich selbst ohne jeden Sprachkurs fließend deutsch beigebracht. Aber weiterhin kann sie nicht lesen oder schreiben, vor allem keine lateinischen Buchstaben. Damit fällt man bei der Deutsch-Prüfung durch und kann nicht zu seinem Ehegatten reisen.
Deutschland hat damit ein weiteres bürokratisch-rassistisches Hindernis gelegt, um die aus ihrer Sicht Unerwünschten so lang wie möglich fern zu halten.
Lesen und schreiben würde sie gern lernen. Aber wo soll sie es tun in Serbien? Woher das Geld bekommen in Serbien? Sie unterstützt ihre Tante auf dem Markt. Aber bedeutet keinen Dreifach-Verdienst, sondern eine zusätzliche Esserin – zumal der ungarische Onkel seitdem Alter von fünf Jahren an Kinderlähmung leidet und schon lange nicht mehr arbeiten kann. Vom Staat bekommen sie keine Rente, es gibt keine Krankenversicherung. Und zu allem Überfluß brannte vor zwei Jahren der Dachstuhl des kleinen Hauses und bis die Feuerwehr nach langen Minuten kam, war bereits fast alles abgebrannt. Jetzt fehlt ihnen das Geld, um das Dach neu zu decken. Notdürftig haben sie es mit Plastikplanen gegen den Regen geschützt. Die Wände weisen heute noch Brandspuren auf.

Ihre Kinder kann Sonja auch nicht besuchen, zwei weitere lange Jahre nicht.

Eine mutige Frau: Mit ihren lebhaften Augen und ihrem offenen Lachen bringt sie immer wieder zum Ausdruck, dass sie nicht aufgeben wird, bis sie an dem Ort sein kann, den sie sich wirklich „freiwillig“ ausgewählt hat.

Einen ganzen Nachmittag saßen wir zusammen und hörten zu, was unserer Freunde uns erzählten: Aus der Welt, in die die Ausländerbehörde sie schickt, behauptend auch dort sei ein menschenwürdiges Leben möglich. Und sie erzählten uns auch von ihren Träumen, in einer Welt zu leben, in der sie zum Arzt gehen können, Medikamente bekommen, eine Gesundheitsversorgung haben, in der sie mit ihren Kindern leben können, mit ihren Familien, in der sie ein Dach über dem Kopf haben, eine Wohnung haben, in der sie ihre Kinder zur Schule schicken können, in der sie schreiben und lesen lernen können – eine Welt, in der sie ein ganz normales Leben leben können. Das ist ihr größter Traum.

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