Sonntag,
2. August um 15 Uhr
Gedenkveranstaltung in Neuengamme
Mittwoch,
5. August um 16 Uhr
Protest gegen Sammelabschiebungen beim Airport Plaza am
Flughafen
Nach
einer Streik-Woche vor der Ausländerbehörde und einer großen
Demonstration im Zentrum wird am 2. August zunächst eine Führung
über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme und
im Anschluss ab 15 Uhr eine Gedenkveranstaltung dort stattfinden.
Am
5. August wird dann ab 16 Uhr eine Protestkundgebung gegen
Sammelabschiebungen auf dem „Airport Plaza“ am Flughafen Hamburg
stattfinden.
In Berlin findet am
2. August 2015 um 20 Uhr am Denkmal für die im Nationalsozialismus
ermordeten Sinti und Roma Europas (Simsonweg) die Veranstaltung
»Phagedo Dschi – Zerrissenes Herz« – Erinnern an die Ermordung
der letzten Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau 1944 statt.
In
Freiburg findet entweder am 3. oder am 10. August eine Aktion am
Flughafen Karlsruhe Baden-Baden statt – je nachdem, wann die
Behörden die nächste Sammelabschiebung anberaumen.
Verfolgung
im Nationalsozialismus
Bis heute ist die
Geschichte der Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti nicht
ausreichend erforscht und nicht genau bekannt. Dies ist kein Zufall,
es ist Ausdruck von fortgesetzten Mechanismen der Ausgrenzung und
Ablehnung.
Roma
und Sinti wurden während der
Zeit des Nationalsozialismus in die Konzentrationslager Belzec,
Siedlce, Bergen-Belsen oder Auschwitz, aber auch nach Neuengamme bei
Hamburg deportiert. Schätzungen zufolge waren hier ungefähr 500
Menschen als sogenannte „Zigeuner“ inhaftiert. Als
Zwangsarbeiter_innen wurden die Menschen dort körperlich ausgebeutet
und bei Mangelernährung fürchterlich gequält. Von den insgesamt
100.000 Häftlingen überlebte mehr als die Hälfte diese Tortur
nicht.
Jährlich am 2. August
gedenken international Roma-Organisationen und ihre
Unterstützer_innen der Ermordung von nahezu dreitausend Roma im Jahr
1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Im
Familienlager von Auschwitz starben die meisten an
Hunger oder Krankheiten, bis die Häftlinge in der Nacht des 2.
August ermordet wurden. Nur
etwa 4000-5000 überlebten die Konzentrationslager.
Sinti
und Roma wurden als Opfer der „Vernichtung durch Arbeit“ u.a. in
den großen Rüstungswerken (Siemens, Daimer-Benz, BMW, VW), wo sie
täglich zwischen 12 und 15 Stunden unter schlimmsten Bedingungen
arbeiten mussten oder auch als Zwangsarbeiter in ländlichen
Regionen. Sinti und Roma wurden zu Menschenversuchen für
verschiedene Arzneifirmen u.a. im Konzentrationslager in Natzweiler
im Elsass und in Auschwitz missbraucht und gefoltert. Im
südserbischen Nis wurde 1941 eines der ersten Konzentrationslager
auf dem Balkan errichtet. 1942 erklärte die SS Serbien als
„zigeunerfrei“. Die Geschichte der Sinti und Roma ist eine
Geschichte von Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung.
Rassismus
gegen Roma in Südosteuropa
Die Roma, die heute
in Südosteuropa leben, sind die Nachkommen der Überlebenden des
nationalsozialistischen Völkermords. Der Rassismus gegen Roma ist
heute in Südosteuropa allgegenwärtig. Die Diskriminierung beginnt
in den exjugoslawischen Staaten bereits im öffentlichen Raum. Die
Mehrheit der Roma hat keine festen Unterkünfte, keine richtigen
Wohnungen. Sie organisieren ihr Überleben in irregulären
Siedlungen, Slums, oft ohne Wasser-, Abwasser- und Stromanschluss.
Die Lebenserwartung ist gegenüber dem gesellschaftlichen
Durchschnitt entsprechend niedrig, die Kindersterblichkeit um ein
vielfaches höher. Ein regelmäßiges Einkommen ist fast nie
vorhanden. In vielen Haushalten gibt es tagelang kaum etwas zu essen.
Kernrechte, wie das Recht auf Wohnen, Nahrung, Arbeit, Bildung etc.
sind nicht garantiert. Die Roma leiden unter Vorurteilen,
systematischer Diskriminierung, Marginalisierung und Ausgrenzung.
Viele unterliegen einem permanenten Vertreibungsdruck. Polizeiliche
Räumungen von Roma-Siedlungen sind alltäglich. Das sind die Gründe
warum zahlreiche Roma, seit der Visaliberalisierung im Dezember 2009,
den Balkan verlassen haben.
Humanitäres
Bleiberecht
Die
systematische Diskriminierung, Marginalisierung und Ausgrenzung von
Roma heute und die moralische Verpflichtung aus der gezielten
Verfolgung und Ermordung der Roma im Nationalsozialismus, begründet
ein dauerhaftes Bleiberecht aus „humanitären
Gründen“
für Roma aus den Balkanstaaten in Deutschland. Weiterhin resultiert
aus den Richtlinien
über Verfahren
und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft des UNHCR
wie auch die Qualifikationsrichtlinien
ein Bleiberecht aus humanitären Gründen.
„Sichere
Herkunftsländer“ eine Politik der Stigmatisierung und Vertreibung
Nicht
erst nachdem Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien im September
mit den Stimmen der GRÜNEN zu sogenannten „sicheren
Herkunftsstaaten“ bestimmt wurden, wird Stimmung gegen die Roma
gemacht. Dies obwohl die Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in
den Balkanstaaten eine derartige Dimension erreicht hat, dass sie
existenz- und lebensgefährlich sein können.
Die
Folgen dieser Politik münden in einer massiven Entrechtung von Roma:
Fluchtgründe
werden nicht anerkannt, und auch nicht die besondere
Schutzbedürftigkeit von Roma. Stattdessen werden die meisten
Asylanträge von Roma aus dem Balkan als »offensichtlich
unbegründet« abgelehnt: im Schnellverfahren und ohne eine
individuelle Prüfung gemachter Angaben. Die Haltung der
Bundesregierung, die in einigen Bundesländern (wie Hamburg oder
Bayern) vollständig geteilt wird, spricht allen aus den
Balkanländern Flüchtenden pauschal politische Fluchtgründe ab. Die
Medien sind voll mit Statements aus der Politik, nach denen einzig
wirtschaftliche Interessen die Menschen dazu bewegen würden, ins
Schlaraffenland Deutschland zu ziehen. Dabei flieht kein Mensch
freiwillig und ohne Grund. Die wirtschaftlichen Gründe, die die
Menschen zwingen sich auf den Weg zu machen sind oftmals
Überlebensfragen und Folgen von ausgrenzenden wirtschaftlichen
Strukturen. Was aktuell gefordert und fix beschlossen wird, seien es
Arbeits- und Ausbildungsverbote, sei es die Streichung von
Taschengeld fördert die Rechtlosigkeit und wirkt stigmatisierend.
»Flüchtlinge
aus dem Balkan: die, von denen wir wollen, dass sie schnell wieder
gehen« sollen zukünftig in Aufnahmezentren gesammelt werden, in
denen die Asylverfahren im Schnelldurchlauf abgehakt werden und dann
die Menschen direkt aus den Lagern wieder abzuschieben – dann mit
Einreiseverbot in die EU.
In
diesen Lagern werden viele Roma landen, denn sie haben oft keine
andere Möglichkeit, als vor Mord, Vertreibung und Ausgrenzung zu
fliehen und stellen einen Großteil derjenigen, die aus den
Balkanländern kommen. Ihnen pauschal Asylmissbrauch oder Betrug
vorzuwerfen knüpft an jahrhundertelang bestehende stereotype Bilder,
die verändert und hinterfragt werden müssen. Wenn das nicht
passiert, wenn die Klischees weiter aufbewahrt, gesammelt, gepflegt
und archiviert werden dann bleiben wir geschichtsvergessen im Kreis
von Ausgrenzung und Diskriminierung.
Entlang
der europäischen Außengrenze ziehen sich Lager, in denen Menschen
gesammelt werden und teilweise mit illegalen Push-back-Aktionen
wieder aus der EU rausgeschoben werden. Dieser Zustand ist Ausdruck
der humanitären Katastrophe, an der sich Europa ausgrenzend und
unrühmlich beteiligt ist. Die geplanten Aufnahmezentren sind eine
deutsche Steigerung der organisierten Unmenschlichkeit. Hier werden
Menschen nach Herkunft sortiert ohne jede Chance erst ein-, dann
ausgegrenzt. Mit dem Wissen um die spezifisch deutsche Verantwortung
in Bezug auf Roma, mit dem Wissen um Anschläge auf Flüchtlingsheime,
mit dem Wissen um rechtspopulistische Mobilisierungen in vielen
Städten ist das entweder brandgefährliche Naivität oder, und das
ist wahrscheinlicher, gewollte systematische Konstruktion einer
Opfergruppe – und ihre Konzentration. Damit bleiben noch die Enkel
und Urenkel in der Spirale von Ausgrenzung, Gewalt und Schmerz.
Die
„falschen“ und die „richtigen“ Flüchtlinge
Nachdem
die Welt mit zahlreichen Konflikten und dem Zusammenbruch des
humanitären Hilfssystems konfrontiert ist, selbst eine UN nicht in
der Lage ist alle Bedürftige zu versorgen, erreichen immer mehr
Menschen den europäischen Kontinent. In Deutschland reagiert man,
gegen all jene die durch das Raster der bundesdeutschen
Asylanerkennung fallen („keine politische Verfolgung in den als
sicher deklarierten Herkunftsstaaten“), mit dem alten Rezept der
Abschreckung und Abschottung. Die Pläne von Bund und Ländern sehen
vor, dass Geflüchtete aus den Westbalkanstaaten – faktisch
größtenteils Roma – in gesonderten Erstaufnahmezentren
untergebracht werden. Sie sollen gar nicht erst in Städte und
Gemeinden verteilt, sondern direkt aus diesen Sammellagern wieder
abgeschoben werden. Auch die Streichung von Sozialleistungen allein
aufgrund ihrer Herkunft ist bereits im Gespräch. Sachleistungen
sollen sie bekommen – das ist das häufig wegen seiner
ausgrenzenden Wirkung kritisierte Gutscheinsystem.
Diese
staatliche Vorverurteilung und Sonderbehandlung der Roma zeigt klar
die Muster des uralten Hasses auf Sinti und Roma. Im
Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma in einer Kategorie mit
sogenannten „Asozialen“ zusammengefasst. Die Eigenschaften, die
dieser Kategorie unterstellt wurden, waren z.B. ihre wirtschaftliche
Nutzlosigkeit, Faulheit, Ausnutzung der öffentlichen Wohlfahrt,
abweichendes Verhalten und mangelnde Integration in die
Mehrheitsgesellschaft. Diese Kriterien lieferten in einem Klima des
nationalistischen Rassenwahns den Vorwand für die Verfolgung und
Vernichtung der so stigmatisierten Bevölkerungsgruppen, der übrigens
die Unterbringung in Sammellagern vorausging. Im heutigen Deutschland
wird die nationalsozialistische Vernichtungspolitik ohne Frage von
den allermeisten verurteilt, trotzdem wirken heute dieselben
Kategorien der Abwertung. Dass diese von der Politik gezielt
propagandiert oder instrumentalisiert werden, ist angesichts der
rassistischen Mobilmachung gegen Flüchtlingsunterkünfte
brandgefährlich.
Darum handeln wir
gegen die Abschiebung von Roma:
- weil wir soziale und politische Rechte für alle einfordern
- weil viele Roma aus dem Balkan keinen Zugang zu diesen Rechten haben
- weil das Kindeswohl bei Abschiebeentscheidungen im toten Winkel bleibt
- weil wir das politische Konstrukt der „sicheren Herkunftsstaaten“ ablehnen.
- weil viele solidarische gesellschaftliche Projekte, die mit Roma aufgebaut wurden zerstört werden.
- weil wir damit direkt in das politische Geschehen eingreifen können
- weil Abschiebungen kontraproduktiv sind und keine Perspektive bieten
- weil Abschiebung die schlimmste Form staatlicher Diskriminierung ist
- weil Abschiebungen ein Akt unterlassener Hilfsleistungen darstellt
- weil Abschiebung fast immer nur arme und rechtlose Menschen trifft derer man sich entledigen will
- weil die Politik anderen Interessen dient als den Geflüchteten
- weil man Roma indirekt für die Kurzsichtigkeit der Politik verantwortlich machen will, welche wider besseres Wissen nicht rechtzeitig auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen reagiert hat und nun die selbstproduzierten Mängel vertuschen möchte
- weil die Diskreditierung der Roma als „falsche“ Flüchtlinge die fatale Tradition der Ausgrenzung dieser europäischen Minderheit hier in Deutschland fortschreibt
- weil die historische Verantwortung Deutschlands eine Abschiebung von Roma verbietet.
Unterzeichnende:
Bundes Roma Verband e.V.
Roma Antidiscrimination
Network (RAN)
Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung
Aktion Bleiberecht Freiburg
Romano Jekipe ano Hamburg
Recht auf Stadt Hamburg - never mind the papers
alle bleiben!
Roma Center Göttingen e.V.
Recht auf Stadt Hamburg - never mind the papers
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