Junge welt - 05.12.2011 / Inland / Seite 4
Brüssel baut neue Mauern
EU fordert: Osteuropäische Staaten sollen Personen, die das Asylrecht »mißbrauchen«, die Reisefreiheit verweigern. Mazedonien entzieht Roma die Pässe
Ulla Jelpke
Wegen vermeintlichen Asylmißbrauchs soll die Visafreiheit für Staaten Südosteuropas wieder aufgehoben werden. Dieses Vorhaben richtet sich vor allem gegen Roma, die in der EU einen Asylantrag stellen. Der Ausschuß für bürgerliche Freiheiten des Europäischen Parlaments (EP) diskutiert am heutigen Montag über Verschärfungen der Visaverordnungen. Grundlage ist ein Vorstoß der Europäischen Kommission: Diese droht osteuropäischen Ländern mit einer Aussetzung der Visafreiheit, weil von dort zu viele Asylbewerber kämen.
Generell brauchen Bürger von Nicht-EU-Staaten Visa, wenn sie in die EU wollen. Mit einer Reihe von EUNachbarstaaten gibt es aber Abkommen, welche den Visumszwang aufheben. Dafür verpflichten sich diese Staaten zur »Rücknahme« eigener Bürger, die sich »illegal« in der EU aufhalten. So verhält es sich seit 2009 mit Serbien und Mazedonien. Die Zahl der Asylbewerberzahlen aus diesen Staaten, vor allem von Roma, ist seither stark angestiegen. Roma sehen sich in diesen Staaten nicht nur massiver Benachteiligung bei Zugang zu Bildung, zum Gesundheitswesen und zum Arbeitsmarkt ausgesetzt – bisweilen werden sie auch Opfer zwangsweiser Umsiedlungen, bei denen sie aus ihren Dörfern vertrieben werden.
Die Herkunftsländer der Roma werden jetzt unter Druck gesetzt: Die EU-Kommissare für Inneres und Justiz, Cecilia Malmström und Stefan Füle, haben offen dazu aufgefordert, Maßnahmen gegen die Ausreise potentieller Asylbewerber zu ergreifen. Faktisch ist dies ein Aufruf zu menschenrechtswidrigen Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung. Mazedonien hat bereits beschlossen, den »Mißbrauch der Visafreiheit in der EU« mit Paßentzug zu bestrafen. Serbien plant ähnliche Maßnahmen. Zukünftig sollen Ausreisewillige vor ihrer Ausreise überprüft werden. Wenn sie im Verdacht stehen, in der EU Asyl zu beantragen, soll ihnen die Ausreise verwehrt werden. Der Menschenrechtskommissar des Europäischen Rates, Thomas Hammarberg, wies in einer Erklärung darauf hin, daß dieser Verdacht in der Praxis an der Zugehörigkeit zu den Roma festgemacht wird, es sich also um eine rassistische Maßnahme handelt. Diese Maßnahmen verstießen außerdem gegen das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbriefte Recht, das eigene Land verlassen zu dürfen.
Auch Pro Asyl schloß sich der Kritik an. Es seien »meist die Angehörigen schwer diskriminierter und daher oft zum Leben im Elend verdammter Minderheiten, die in der EU Asyl suchen«. Zugleich würden die Roma so zu Sündenböcken, denen die Schuld an einer zeitweisen Aufhebung der Visafreiheit angelastet wird. Dies sei auch die Schuld der EU. Die Roma-Organisation Chachipe kritisierte die Kommission ebenfalls scharf. In Ermangelung konkreter Fortschritte bei der Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma würden die Forderungen der Kommission zu noch mehr Diskriminierung führen.
Die Linke-Fraktionen im Europaparlament, im Bundestag und im Abgeordnetenhaus von Berlin sowie die Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstalten nächsten Samstag ab 9.30 Uhr eine Konferenz unter dem Titel »Willkommen zu Hause. Situation der Roma in der EU«. Sie findet im Berliner Abgeordnetenhaus in der Niederkirchner Str. 5 statt, der Eintritt ist kostenlos.
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