Donnerstag, 18. August 2011

Kvantsaki Pijac, da wo man zwischen Zwiebeln und Knoblauch schläft

Artikel mit Fotos auf bizegranice lesen !

Eine Roma Familie aus Hamburg, die Sommer 2010 Serbien verlassen hatte, um nach Deutschland zurückzukommen hatte mir mehrmals, während unseren regelmäßigen Treffen, von dem so genannten „Gemüsemarkt“ Belgrads gesprochen. Sie erzählten, dass sie dort schliefen, in Container und tagsüber ein paar Früchte und Gemüse verkauften. Auf dem Sofa in dem Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung in Billstedt, war es mir etwas schwierig, mich meine Freunde in solchen Lebensbedingungen vorzustellen. Sie hatten mir gebeten, dorthin zu gehen und nach dem Bruder von Marija, die Mutter der Familie zu fragen. Auf der Straße nach Novi Sad, nach der Tankstelle Zmaj. Nicht unbedingt einfach zu finden für jemand, der Belgrad nicht kennt.

In Belgrad haben wir das Glück gehabt, die Leute von dem Minority Center zu treffen. Sie haben uns viele Informationen gegeben und Borka, eine Roma Mitarbeiterin der Organisation, hat uns zum Markt begleitet. Nach 2 Stunden Bus durch die serbische Hauptstadt kommen wir endlich in Kvantsaki Pijac unter einer brennenden Sonne an. Der Markt befindet sich in der Siedlung Zemun, wo sehr viele Roma wohnen und gut die Hälfte sich auf deutsch unterhalten kann. Viele Stände haben schon geschlossen. Es sieht eher wie ein Parkplatz aus: riesige Lastwagen und kleinere Kombis stehen da und viele haben den Kennzeichnen aus Leskovac, eine Stadt im Süden Serbiens.
Kvantsaki Pijac ist einen Großmarkt. Dort werden nur in größeren Mengen für geringe Preise Gemüse und Obste verkauft. Nicht nur Roma sondern auch Serbe verkaufen da. Der Unterschied, ist dass viele von den Roma, die da arbeiten, vor Ort schlafen, in Autos und Lastwagen. Sehr schnell treffen wir Menschen, die uns auf deutsch ansprechen. Alle Leute, mit den wir ausgetauscht haben, erzählen das gleiche: sie waren in Deutschland und haben irgendwann die Papiere zur freiwilligen Rückkehr unterschrieben, da sie sich unter großen Druck gefühlt haben. Dabei wurde ihnen versprochen, dass sie in Serbien Arbeitsmöglichkeiten kriegen würden. Der Präsident hätte versprochen, eine finanzielle Hilfe für die Rückkehrende zu geben. Aber bei der Ankunft sieht es anders aus. Einfach wieder von null anfangen. Einige haben ein Haus oder einen kleinen Grundstück in Leskovac oder Vranje aber sie sagen alle das gleiche: „Dort gibt es keine Arbeit, die Situation ist eine Katastrophe!“

Wir treffen mehrere Familien, einige waren jahrelang in Köln, andere in Mecklenburg-Vorpommern. Wir fragen nach Marjan, der Bruder von Marija. Die Leute zeigen uns, ganz am Ende des Marktes ein älteres Paar, das in einer Ecke im Schatten sitzt. Nach einiger Missverstände, verstehen wir, dass es die Eltern von einem Roma aus Hamburg sind. Boban D. hat eine Petition in Hamburg eingereicht und diese wurde vor kurzem abgelehnt. Die Eltern zeigen uns Fotos von den Enkelkindern und schreiben alle Namen auf. Sie wohnen zu zweit in ihrem kleinen Auto auf dem Marktplatz. Und sie leben in solche Bedingungen von April bis Oktober/November, die ganze Saison.
Auf dem Rückweg treffen wir zufällig der Onkel und die Tante von Maria. Wir lachen von dem Zufall, sprechen auf deutsch (sie waren auch in Deutschland) und wir zeigen die Fotos, die wir aus Hamburg mitgebracht haben. Die Familie verkauft nur Knoblauch und wohnt zu viert in einem kleinen Kombi. Die Hälfte des Kombis ist mit einer einzigen Matratze belegt, wo die 4 schlafen und die andere Hälfte mit Waren. Sie kochen mit ganz wenigen Mitteln mit einem einfachen Gaskocher.

Durch die verschiedene Gespräche erfahren wir ein bisschen mehr über die Arbeitsbedingungen: man muss schon um 2 Uhr da sein, bis Nachmittag verkaufen und verdient zwischen 100 und 200 dinars pro Stunde. Also vielleicht 10€ im Durchschnitt für 7 Stunden Arbeit.

Später finden wir noch da, wo der Bruder von Marija wohnt. Es ist vielleicht 1 km weit vom Markt, in Grimec. Man muss an der Seite einer großen Straße laufen, die zur Autobahn führt. Die Luft ist schmutzig und die Autos fahren schnell. In der Siedlung wohnen zurzeit 5 Familien, alle aus Leskovac. Jede Familie mietet ein kleines Zimmer für 60€ im Monat. Sie teilen sich eine Toilette, die draußen im Hof ist und es gibt kein Bad, nur Wasser. Die hygienische Situation ist alarmierend.

Sabina, die Frau von Marjan, erzählt, dass es mehrmals vorgekommen ist, dass die Frauen auf dem Weg zur Arbeit angegriffen wurden. Es war morgens und es waren Leute, die mit Autos stoppten und sie belästigten. Anti-Roma Beleidigungen aber auch körperliche Gewalt. Sie ist einmal runtergefallen und hat an den Knien geblutet. Es war einmal letztes Jahr und wieder dieses Jahr einmal aber sie wusste nicht mehr ganz genau wann.
Ein anderer Mann, den wir auf dem Markt getroffen hatten, sagte uns, dass er persönlich keine Angriffe erlebt hatte und, dass in Zemun alles in Ordnung sei. Er ist mit seiner Familie (eine Tochter ist noch in Deutschland aber) nach Serbien zurückgekommen. Er ist in einer evangelischen Gemeinde sehr engagiert und möchte jetzt nicht mehr nach Deutschland. Er hat zu viel gewartet und er hat nichts gebracht. Er sagt: „Ja, es ist schwierig, sehr schwierig für uns aber haben wir die Wahl?“

Ich kann kaum mir vorstellen, dass meine Freunde aus Hamburg in solche Bedingungen gelebt haben, ich kann mir noch weniger vorstellen, dass sie auf dem Markt eines Tages wiederkommen. Aber es ist anscheinend, was auf die Roma zukommt, die „freiwillig“ ins Elend wiederkommen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen