Freitag, 24. Februar 2012

Reise bericht von Alle Bleiben in Kosovo und Serbien


Roma im Kosovo und Serbien
Unwillkommen und abgedrängt an den Rand der Gesellschaf
Eines fällt besonders auf bei unseren besuchen verschiedener Roma-Familien in Serbien und Kosovo: Niemand hat eine feste Arbeitsstelle. Manche schlagen sich täglich mit Gelegenheitsjobs durch oder sind angewiesen auf spärliche fließende Hilfszahlungen von verwandten im Ausland. Eine Planungssicherheit, die Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten ermöglichen würde gibt es nicht. Roma unterscheiden sich äußerlich meist von der Mehrheitsbevölkerung und sind daher leicht als Roma zu erkennen. Dies führt dazu, dass ihnen Diskriminierungen in jedem Bereich des Lebens begegnen, sei es bei der Arbeitssuche, beim Arzt, Schulbesuch oder Behördengängen. Als Roma können sie immer damit rechnen, dass sie ihr Gegenüber als „Mensch zweiter Klasse“ betrachtet und dies auch zu spüren gibt ... Bis hin zu körperlich gewalttätigen Attacken auf offener Straße. Aufgrund der allgemeinen Akzeptanz von Rassismus und weit verbreiteter Romafeindlichkeit in der Gesellschaft Kosovos und Serbiens haben Roma in solchen Fällen kaum eine Chance sich zur Wehr zu setzen und Unterstützung zu bekommen. Dies schließt sogar die Polizei mit ein! Es gibt zahlreiche Berichte von Roma, die von der Polizei grundlos, oder auf einen unbestätigten Verdacht hin misshandelt wurden oder deren Anzeigen ins lächerliche gezogen und nicht angenommen wurden. So bleiben Körperverletzungen oder der Betrug um Arbeitslöhne gegenüber Roma oft ohne Folgen für die Täter.
 
http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/IMG_7231.JPG

http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/bericht/DSCN0746.JPG
Auch unser Team kann von der Willkür der kosovarischen Polizei gegenüber Roma aus eigener Erfahrung berichten.

Ihr Vater wurde wegen "Kindesentführung" zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt.
Wir haben von den Familien, die wir besuchen konnten mehrfach Berichte über polizeiliche Willkür und Schikane erhalten und mussten sogar selber erleben, wie es ist in einer Gruppe mit drei Roma unterwegs zu sein. Kaum hatte unser erster Tag im Kosovo begonnen wurden wir nach dem Frühstück auf offener Straße ohne ersichtlichen Grund festgenommen. Man hielt uns mehr als 5 Stunden fest, kontrollierte unsere Pässe immer wieder, durchsuchte unser gesamtes Gepäck und befragte uns ausgiebig zu unseren Verhältnissen zueinander. Hierbei konnte es sich der befragende Polizist nicht verkneifen mehrere nationalistische und romafeindliche Kommentare zu machen und eine bedrohliche und schikanöse Atmosphäre aufzubauen. Als es bereits anfing dunkel zu werden ließ man uns wieder frei, ohne dass die Festnahme zu irgendeinem Ergebnis geführt hätte. Am Folgetag wurde unsere Gruppe übrigens wieder grundlos festgenommen. Dieses Mal hatten wir aber Glück, da wir bereits nach einer halben Stunde wieder gehen durften. Es war schon später Abend.
Eine Familie, die erst vor wenigen Wochen abgeschoben wurde berichtet von einer kompletten Hausdurchsuchung (wegen angeblichen Verdacht auf Waffenbesitz) durch schwer bewaffnete Polizisten. Auch hier blieb die Durchsuchung ohne Ergebnis, wenn man davon absieht, dass die ganze Familie seit dem zutiefst verängstigt ist und vor allem die sechs Kinder zwischen 9 bis 20 Jahren mit diesen belastenden Erlebnissen zusätzlich zum Erlebnis der Abschiebung kaum umgehen können.
Ein anderer Familienvater, der auch 2011 abgeschoben wurde, berichtet uns mehrmals auf der Straße von seinen Nachbarn bedroht worden zu sein. Seine Anzeige bei der Polizei blieb ohne jede Folge, so dass er jetzt kaum noch das Haus verlässt und die Kinder von Freunden zur Schule gebracht werden, weil auch seine Frau Angst hat raus zu gehen. Sie sagen, sie fühlen sich wie im Gefängnis.
 
http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/bericht/DSCN0365.JPG

http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/bericht/DSCN0577.JPG
Romasiedlung bei Gjakova direkt an einer Müllkippe.

Fushe Kosova: Kosovos größte noch existierende Romasiedlung
Allgemein viel bei den Interviews mit einheimischen, also nicht abgeschobenen Roma, auf, dass zuerst Antworten kamen wie: „Ich fühle mich sicher und habe keine Probleme mit Diskriminierung“ sich aber später im Verlauf des Gespräches herausstellte, dass sich diese empfundene Sicherheit nur auf das jeweilige, ausschließlich von Roma bewohnte, Mahala bezog. Auf unsere Nachfrage, ob sie sich auch außerhalb des Mahalas sicher fühlen und keiner Diskriminierung begegnen wurde dann in den meisten Fällen überrascht reagiert. „Natürlich, wenn ich raus gehe, gibt es die üblichen Beschimpfungen und manchmal auch Schläge.“ Für diese Menschen ist die Diskriminierung außerhalb des Mahalas offensichtlich schon so selbstverständlich, dass sie die nicht für erwähnenswert halten und vermeiden, indem sie die Mahalas nicht verlassen.
Auch was den Schulbesuch der Kinder betrifft gibt es zahlreiche Probleme. Drei von vier Romakindern gehen im Kosovo nach einer Abschiebung nicht weiter zur Schule. Die von uns besuchten Familien berichten, dass die Kinder mithelfen müssen Geld zu verdienen, oder dass die Schulausrüstung für die Eltern unbezahlbar ist. Manche Kinder haben auch einfach Angst, vor Schikanen durch Lehrer oder Mitschüler und bleiben lieber den ganzen Tag zuhause. Bei abgeschobenen Kindern, die in Deutschland aufgewachsen oder sogar zur Welt gekommen sind kommt noch erschwerend hinzu, dass diese meist weder Serbisch noch Albanisch sprechen und so keinen Anschluss an den Schulunterricht finden können.
 
http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/DSCN0570.JPG

http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/bericht/DSCN0489.JPG
Eine Familie in Plementina in ...

... und vor ihrer selbstgebauten Hütte
Die Wohnverhältnisse der Romafamilien sind meist menschenunwürdig einfach und beengt. Viele Familien können sich nur die Miete für die billigsten Wohnungen leisten oder leben in verlassenen Ruinen oder selbst gebauten Baracken. Oft sind die Behausungen feucht, verschimmelt und zugig. Viele Roma leben auch noch in maroden Flüchtlingslagern, mehr als 10 Jahre nach dem Krieg und ihrer Vertreibung. Es ist Gang und Gebe, dass alle Familienmitglieder, von den Eltern über die Oma bis hin zu den Enkelkindern und Schwiegertöchtern in einem einzigen Zimmer leben und schlafen müssen. Teilweise leben 10 Menschen in einem Raum von kaum mehr als 20 m2, ohne jede Privatsphäre. Auch Badezimmer sind Luxus! Wasseranschluss und Toiletten befinden sich meist im Freien. Besonders im Winter ist dies eine Zumutung, die sich die meisten in Deutschland lebenden Menschen kaum vorstellen können. Für warmes Wasser muss dieses erst auf dem Herd erhitzt werden. Das hierfür, sowie fürs Kochen und Heizten benötigte Brennholz kostet zwischen 40-50€ pro m3 und stellt für die Familien eine enorme finanzielle Belastung dar. Bei Temperaturen um die -20 °C recht so ein m3 grade mal für eine Woche, so dass viele gezwungen sind zu frieren oder auf Plastikmüll zurückgreifen.
 
http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/bericht/IMG_7240.JPG

http://www.alle-bleiben.info/news/bilder/kosovo/2012/bericht/IMG_7244.JPG
Waschgelegenheit ...

und "Toilette" im Freien
Zu essen gibt es meist nur das billigste: Brot, Kartoffeln und Bohnen. Frisches Obst, Fleisch oder Süßigkeiten gibt es nur in Ausnahmefällen. Auch die medizinische Versorgung ist stark eingeschränkt. Zwar wissen die meisten chronisch kranken genau welche Krankheiten sie haben und welche Medikamente sie benötigen, können diese aber nicht, oder nicht immer, bezahlen. Gelegentlich ist ein Arztbesuch kostenlos, meistens allerdings werden Beträge zwischen 5 bis 10 € für eine einfache Untersuchung verlangt. Bei komplizierteren Untersuchungen, etwa durch einen Spezialisten ist es auch schnell DEUTLICH mehr. Zu den Kosten für den Arzt und die Medizin kommen manchmal noch Fahrtkosten hinzu, die für viele Familien auch kaum zu tragen sind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen